Dieses Blog durchsuchen

Rezension Giorgio Agamben- Nacktheiten

Dies ist das erste Buch des Denkers Giorgio Agamben, das ich bisher gelesen habe. Es enthält neun Essays, die Anleihen in der Bibel nehmen, um Gedankenbilder, die bis in die heutige Zeit hineinreichen, sehr wortreich aufzudröseln. Zunächst hatte ich einige Schwierigkeiten, mich in die barocken Satzgebilde einzufinden, die mich an Satzgebilde von Sloterdijk erinnern und meiner Neigung für Schlichtheit im sprachlichen Ausdruck, wie der Philosoph André Comte-Sponville ihn beherrscht, leider zuwider laufen.

Agamben reflektiert zunächst den Begriff Prophet im Sinne von Vermittler, der bis zum heutigen Tage aus der abendländischen Kultur nicht verschwunden ist, wobei heute allerdings niemand mehr die Position des Propheten vorbehaltlos für sich reklamieren kann (vgl. S.8 ff).


Höchst interessant finde ich seine Überlegungen zur Zeitgenossenschaft. Agamben hat mir mit seinem Essay "Zeitgenossenschaft" klar gemacht, dass ich den Begriff bislang nicht richtig angewandt habe. Er definiert: "Der Gegenwart zeitgenössisch, ihr wahrhaft zugehörig ist derjenige, der weder vollkommen in ihr aufgeht noch sich ihren Erfordernissen anzupassen sucht." Das bedeutet, dass der Zeitgenosse stets unzeitgemäß ist, gleichwohl diese Abweichung es ihm erlaubt, seine Zeit wahrzunehmen und zu erfassen.


Zeitgenossenschaft sei, so der Philosoph, ein spezielles Verhältnis zur Gegenwart. Dieses Verhältnis macht es erforderlich, dass man seinen Blick auf seine Zeit richtet, um nicht deren Glanz, sondern vielmehr deren Finsternis wahrzunehmen, (vgl. S. 26). Zeitgenosse ist demnach derjenige, der die Zeit, in der er lebt, kritisch betrachtet. Agamben erläutert, dass unsere Zeit, die Gegenwart, die fernste Zeit sei und für uns letztlich absolut unerreichbar ist. Wir vermögen uns ihr gedanklich nur bedingt zu nähern und nur dann zeitgenössisch zu sein, wenn wir die Dunkelheit der Gegenwart erkennen und ihr unerreichbares Licht als Tatsache begreifen. Soweit ich Agambern verstanden habe, ist ein Zeitgenosse letztlich derjenige der mit dem Zeitbegriff spielt, ihn zerlegt und transformiert und indem er ihn überwindet, es schließlich schafft, Zeitgenosse des Jetzt, das Vergangenheit und Zukunft impliziert, zu sein.


Es ist unmöglich im Rahmen der Rezension alle Essays zu beleuchten. Der Essay "Nackheit " allerdings ist wohl der wichtigste im Buch und entstand aufgrund einer Performance von Vanessa Beecroft am 8.4.2005.


Die Künstlerin hatte Hunderte nackte, hauptsächlich strumpfhosentragende Frauen in militärischer Geschlossenheit bekleideten Betrachtern gegenübergestellt.


Agamben nimmt das Event zum Anlass, den Begriff Nacktheit zu überdenken und hält fest, dass in unserer Kultur besagte Nacktheit eine unauslöschlich theologische Signatur trägt (vgl. S. 97). Der Autor konstatiert, dass es vor dem Sündenfall wohl eine Unbekleidetheit gab, jedoch das Unbekleidetsein noch keine Nackheit war. Obschon Nacktheit Unbekleidetheit vorraussetzt, ist sie mit dieser keineswegs identisch. Adam und Eva konnten vor dem Sündenfall ihre Nacktheit nicht sehen, so Agamben. Der Grund hierfür scheint die Gegebenheit gewesen zu sein, dass sie in eine Art Gnadenkleid der Anmut gehüllt waren. Bei nicht obszönem Unbekleidetsein, wie Beecrofts Modellen, sind die Frauen im Grunde nicht nackt, sondern tragen wie Adam und Eva das Gnadenkleid der Anmut.


Agambens Reflektionen im Hinblick auf Nacktheit münden in Überlegungen, wie der Mensch fernab von Sündenfall und Gnadenkleid und damit verbundener Scham, mit seinem nackten Körper umgeht. Vielleicht wird er durch die Befreiung von der theologischen Signatur tatsächlich erst wirklich frei.


Sehr bemerkenswerter Lesestoff, der zum Nachdenken anregt.

Folgen Sie diesem Link, dann können Sie das Buch bestellen:  http://www.fischerverlage.de/

Rezension: André Comte-Sponville- Glück ist das Ziel, Philosophie der Weg

André Comte-Sponville zählt derzeit zu den führenden französischen Philosophen. Im vorliegenden Buch legt er zwölf philosophische Betrachtungen vor. Zu Sprache kommen: Moral, Politik, Liebe, Tod, Erkenntnis, Freiheit, Gott, Atheismus, Kunst, Zeit, Menschsein und Weisheit. Den einzelnen Kapiteln sind Sentenzen berühmter Philosophen vorangestellt. Sein Vorwort beginnt mit einer kurzen Definition des Philosophen Kant: "Philosophie...Weisheitslehre...und Ausübung der Weisheit." Comte-Sponville verdeutlicht, dass es viele Antworten auf die Frage, was Philosophie sei, gibt. Obschon er Kants Definition an den Anfang des Buches setzt, hat der Franzose eine Schwäche für Epikurs Definition, für den Philosophie "eine Tätigkeit, die uns durch Reden und Überlegungen ein glückliches Leben beschert " verkörpert.

Die erste seiner Betrachtungen ist der Moral gewidmet. Für ihn beginnt die Moral dort, wo man frei ist, denn Moral sei diese Freiheit selbst, wenn sie über sich urteile und sich selbst befehle. Der Philosoph verdeutlicht, dass Moral nicht dazu da sei, zu strafen, zu unterdrücken und zu verurteilen. Vielmehr, so arbeitet in seinem kleinen Text heraus, ist Moral das, was man sich zu tun und zu unterlassen auferlegt, selbst wenn man unsichtbar und unbesiegbar wäre. Der einzelne handelt und unterlässt dabei nicht des eigenen Vorteils wegen, sondern zum Wohle seiner Mitmenschen. Moral, die man von Dritten einfordert, macht einen persönlich nicht moralischer, sondern bloß zum Moralapostel.
Comte-Sponville reflektiert die philosophischen Facetten der Politik, lotet dann den philosophischen Inhalt des Begriffs Liebe aus und beginnt dabei seine diesbezügliche Betrachtung mit einer sehr beeindruckenden Definition von Aristoteles: "Lieben heißt sich zu freuen". Eine wundervolle Definition, vielleicht die beste zum Begriff Liebe, die ich je gelesen habe.

Der Autor konstatiert, dass Liebe deshalb ein interessantes Thema sei, weil jeder nur in dem Maße Interesse aufbrächte, wie er Liebe empfinde oder sie empfange. Die Liebe lasse uns leben, weil sie das Leben liebenswert mache. Die Liebe rette uns, aus diesem Grunde sollten wir sie retten. (vgl. S.45). Comte-Sponville erklärt in der Folge die Begriffe "eros, philia und agape", wie alle Philosophen, die sich mit den drei Stufen der Liebe befassen, um schließlich eine sehr schöne philosophische Liebeserklärung zu formulieren, die allein Grund genug ist, das Buch zu kaufen.

Es führt zu weit im Rahmen der Rezension zu allen Begriffen Stellung zu nehmen. Sehr gut ist es dem Autor gelungen aufzuzeigen, dass Erkenntnis und Wahrheit zwei verschiedene Begriffe sind, die allerdings im Zusammenhang miteinander stehen. Weshalb man Erkenntnis nicht mit Wissenschaft verwechseln darf, macht Comte-Sponville auch deutlich und macht klar, weshalb Aufklärung nur funktioniert, wenn man den Mut besitzt, sich seines Verstandes zu bedienen, also bereit ist zu erkennen.

Interessant ist Comte-Sponvilles Freiheitsbegriff. Hier zieht er Philosophen wie Voltaire, Hobbes und Locke und viele andere Philosophen heran, um die Begrifflichkeit auf der Plattform der Philosophiegeschichte ins Heute zu überführen. Im Anschluss daran philosophiert er über Gott und den Atheismus, ein schwieriges Thema, dem ich mich zumeist enthalte, weil es stets Konflikte heraufbeschwört, in die ich mich ungern hineinziehe lasse. Dem Autor ist es gelungen ausgleichend zu argumentieren. Das hat mir gefallen. Fruchtbare Diskussionen um die Thematik "Gott und Atheismus" setzen ein Höchstmaß an Toleranz voraus, die sich selbst bei hochintellektuellen Gesprächsrunden zu den Themen zumeist sehr schnell verabschiedet. Leider.

Gerne habe ich den Beitrag zu einem meiner Lieblingsthemen, "Kunst", gelesen. Der Philosoph macht unmissverständlich klar, weshalb Schönheit zwar ein mögliches Ziel der Kunst sei, aber alleine nicht genüge, um Kunst zu definieren.

Was Zeit und Menschsein unter philosophischem Blickwinkel bedeutet, erfährt man im Anschluss, um schließlich am Ende bei der Ermahnung aufzuhorchen, man möge sich hüten, aus der Weisheit ein Ideal zu machen. Schade eigentlich. Wenn Weisheit ein Höchstmaß an Glück und ein Höchsmaß ein Klarheit ist, dann idealisiert man die Weisheit doch gerne, aber Comte -Sponville hat Recht, wenn er sagt, dass jede Form von Idealisierung von der Wirklichkeit trennt. Wer diese verändern möchte, darf sein Heil nicht im Idealisieren suchen. Ohne Frage.
Ein empfehlenswertes Buch.



Rezension:Lass los und werde glücklich (Taschenbuch)

Die psychologische Beraterin und Heilpraktikerin Dörthe Huth verdeutlicht in diesem Buch, dass der wirkliche Weg zum Glück nicht selten über das Loslassen führt. Um von etwas loslassen zu können, sind nach ihrer Meinung sechs Schritte notwendig. Diese werden von der Autorin allesamt ausführlich erklärt. Jedem dieser Schritte sind Checklisten, Experimente und ein erhellender Test beigefügt. Ferner wird gezeigt wie mein Protokolle zur Selbstreflektion anfertigt und anhand von Visualisierungen Veränderungen gedanklich vorwegnimmt.

Sich aufgrund eines Loslass-Prozesses auf Veränderungen einzulassen, heißt nicht zuletzt eine neue Richtung einzuschlagen. Loslassen bringt auf Dauer sehr viel Lebensqualität mit sich. Dabei hat Loslassen nichts mit Weglaufen zu tun. Loslassen bedeutet bloß seine Ziele neu zu justieren und entsprechend zu handeln. Die aktive Arbeit an einem Loslass-Prozess macht es erforderlich verbindlich und diszipliniert zu sein und Durchhaltevermögen zu besitzen.


Loslassen birgt- das sollte jedem bewusst sein sowohl Vor- als auch Nachteile. Es ist hilfreich diese einander gegenüberzustellen, um auf diese Weise eine bewusste Entscheidung für oder gegen das Loslassen zu fällen. Wer in seinem Leben permanent das Gefühl hat, Veränderung zu wollen, aber nicht zu können, leidet vermutlich an erlernter Hilflosigkeit. Diese muss kein Dauerzustand sein.


Die Autorin zeigt u.a. wie man die eigene Gefühlswelt in Einklang bringt und wie man mit negativen Gefühlen wie Wut, Selbstzweifel und Enttäuschung am besten umgeht. Es ist immer günstig innere Bilder zu nutzen, um auf gute Gefühlszustände umzuschalten, hilfreiche Gedanken abzurufen und sich durch Aktivitäten abzulenken und neu zu motivieren. Bei allem sollte man sich stets fragen, was einem die eigenen Gefühle sagen wollen. Übrigens bereitet das genaue Hinschauen und Anerkennen was ist, den Lösungsprozess vor. Die Annahme von Enttäuschungen, das Betrauern, Verabschieden sowie das Verzeihen setzt eine körperliche und geistige Lösungsaktivität in Gang.


Sofern es die Aufgabe ist eine desolate Beziehung loszulassen oder aber anders zu gestalten, bringt es nichts in Abwehr zu verharren. Was man benötigt, ist eine Auseinandersetzung auf Gefühlsebene. Mache man sich bewusst, dass verdrängte Gefühle in unserem Gepäck bleiben und uns auf unserer Lebensreise unnötig belasten.


Die Autorin rät, auf die Signale des Körpers zu achten und alles , was im Leben stört, genau zu betrachten und es nicht einfach wegschieben. Stellt man fest, dass man das Störende nicht mehr akzeptieren möchte, ist es sinnvoll loszulassen. Die Belohnung für den Mut zum Loslassen ist eindeutig die Freiheit.


Ein überzeugender Text, der dazu verhilft, recht bald gelassen auf dem eigenen Glückplateau zu stehen und vollkommen im Einklang mit sich selbst zu sein.


Rezension: Anatomie der menschlichen Destruktivität (Taschenbuch)

Der Psychologe Erich Fromm zeigt in diesem Buch die Gründe von destruktivem (zerstörerischem) Verhalten auf und beschreibt detailliert anhand von ausführlichen Studien die Persönlichkeit von Hitler, Stalin sowie Himmler. Destruktive Persönlichkeitsstrukturen und deren individuelle und soziale Ursachen führen dazu Leben entweder absolut zu kontrollieren oder zu zerstören und kennzeichnen das Agieren eines destruktiven Menschen.

Woher kommt die Unfähigkeit zu lieben, Empathie zu empfinden und sich sozial zu verhalten? Im ersten Teil des umfangreichen Buches befasst sich Fromm mit Instinkt- und Trieblehren und in diesem Zusammenhang mit Freuds Aggressionsbegriff, setzt sich mit Konrad Lorenz auseinander und verdeutlicht die Unterschiede im Denkansatz von Freud und Lorenz. Des weiteren thematisiert er die Vertreter der Milieutheorie und die Behavioristen um dann die Unterschiede zwischen Triebtheorien und Behaviorismus herauszuarbeiten.

Im zweiten Teil lotet Fromm die Befunde aus, die gegen die Thesen der Instinkt- und Triebforscher sprechen, beleuchtet dabei neurophysiologische Betrachtungen, das Aggressionsverhalten von Tieren und stellt anthropologische Erkenntnisse vor. Schließlich verdeutlicht er im dritten Teil die verschiedenen Arten von Aggression sowie Destruktivität und ihre jeweiligen Voraussetzungen.


Fromm grenzt gutartige von bösartiger Aggression ab. Zur gutartigen Aggression zählen u.a. die unbeabsichtigte und die spielerische Aggression und solche, die aufgrund von Freiheitsmangel entsteht. Ausführlich werden dann die Prämissen für bösartige Aggression dargestellt, um letztlich den destruktiven Charakter, der immer auch ein sadistischer ist, zu beschreiben. Sadismus (und Masochismus) stellen, so Fromm, als sexuelle Perversion nur einen Bruchteil des großen Bereichs Sadismus dar, bei dem kein sexuelles Verhalten im Spiel ist. Das nicht sexuelle sadistische Verhalten zielt darauf ab körperlichen Schmerz bis zum äußersten, auch wenn er zum Tode führt zuzufügen. Folter ist das Instrument des körperlichen Sadismus.

Seelische Grausamkeit, der Wunsch einen anderen Menschen zu demütigen und seine Gefühle zu verletzten, ist nach Ansicht des Psychologen noch weiter verbreitet als körperlicher Sadismus. Diese Art des sadistischen Handelns ist für Sadisten viel weniger riskant, denn dabei kommt keine physische Gewalt , sondern "nur" Worte zur Anwendung. Seelisches Leiden kann aber ebenso intensiv oder noch intensiver als körperliches Leiden wirken. Ein Charakterzug des Sadisten besteht darin, dass er stets nur von Hilflosen, nicht von Starken stimuliert wird. Für den sadistischen Charakter gibt es nur eine bewundernswerte Eigenschaft und das ist die Macht. Den Mächtigen bewundert und liebt er. Er duckt sich gerne vor ihm, verachtet den Machtlosen, der sich nicht wehren kann und wünscht ihn zu kontrollieren und zu beherrschen.


Der sadistische Charakter ist durch Angst vor dem Leben gekennzeichnet, so Fromm. Sadistische Menschen sind liebesunfähig, weil Liebe für solche Personen ein unsicheres Terrain ist. Geliebt werden setzt voraus, dass man selbst Liebe erwecken kann und Lieben schließt das Risiko ein abgelehnt zu werden und zu scheitern. Der sadistische Charakter kann nur "lieben", wenn er andere beherrscht, das heisst, wenn er Macht über den Gegenstand der Liebe hat. Ein Sadist fühlt sich stets impotent, unlebendig und machtlos. Deshalb möchte er, dass er den Wurm als den er sich fühlt in einen Gott verwandeln.


Bei allem sind Sadisten immer unterwürfig und hochgradig feige. Sie können töten und quälen, dennoch bleiben sie ungeliebte, isolierte, angstvolle Menschen, die eine höhere Macht benötigen, der sie sich unterwerfen können. Dies wird an den Beispielen Hitler, Stalin und Himmler verdeutlicht. Die Ursachen bösartig destruktiven Verhaltens liegen nach Fromm in psychosozialen Fehlentwicklungen. Durch den Mangel an Liebe entsteht Empathielosigkeit und ihre sadistischen Auswirkungen. Fromm wirbt mit seinem Buch dafür, die gesellschaftspolitischen und familiären Bedingungen so zu verändern, dass zukünftig die Würde der Menschen seitens der Attacken sadistischer Charaktere nicht mehr angetastet wird. Menschen , die in ihrer Kindeit geliebt und akzeptiert werden, mutieren nicht zu Destrukteuren.


Rezension:Menschenkenntnis (Gebundene Ausgabe)

Alfred Adler begreift die Psyche als seelisches Organ, in diesem Sinne eines seelischen Überbaus über dem biologischen Organismus als Ausdruck der individuellen Persönlichkeit. Für ihn ist sie der Ausdruck eines notwendigen Angriffs-, Abwehr, Sicherungs- oder Schutzorgan der Persönlichkeit. Es ist nicht durch Triebeinflüsse oder Umwelteinflüsse bei Geburt festgelegt. Diese Erscheinungen sind Sekundärphänomene. Das Individuum ist von Natur aus gut. Ihm wohnt ein unauslöschlicher Drang nach Weiterentwicklung und Selbstverwirklichung als Leitidee oder Ich-Ideal inne. Dafür wohnt dem Individuum ein ebenso entsprechendes Maß an innerer Freiheit inne, um das Ich-Ideal als Sozialwesen in der Gemeinschaft im "Hinblick auf die Ewigkeit zu verwirklichen und so seinem Lebenssinn zu finden."

Für Adler ist nicht ein in der Sexualität respektive der sexuellen Triebhaftigkeit wurzelndes Lustprinzip, sondern ein im Psychischen innewohnedes Geltungs- oder Machtstreben die Triebkraft der psychischen Entwicklung zur Persönlichkeit. Dem Primat des Willens zur Macht zu Folge gewinnt nach den Untersuchungen Adlers das Geltungsstreben eine spezifische Bedeutung als Ausgleichsfunktion bei Organminderwertigkeit, d.h. Minderwertigkeitgefühlen infolge von angeborenen Körperfehlern.

Die Eindämmung des Geltungsstrebens, um die Ausbildung eines parasitären, auf Ausbeutung der Mitmenschen abzielenden Charakters zu verhindern, ist für Adler ein Erziehungsproblem. Für ihn ist Erziehung eine Erziehung zu "verstärktem Wirklichkeitssinn, Verantwortung und Ersatz der latenten Gehässigkeit durch gegenseitiges Wohlwollen, die allerdings nur ganz zu gewinnen sind durch die bewusste Entfaltung des Gemeinschaftsgefühls und durch den bewussten Abbruch des Strebens nach Macht."


Nachdem Adler sich eingangs ausführlich mit der Seele befasst und in der Folge Minderwertigkeitgefühl und Geltungsstreben ausgeleuchtet hat, beleuchtet er gedanklich das Phänomen "die Vorbereitung fürs Leben" und das Verhältnis der Geschlechter zueinander. Anschließend wird man mit Adlers Vorstellungen vom Wesen und der Entstehung des Charakters vertraut gemacht.


Er vergleicht die Charakterzüge, die nach seiner Ansicht keineswegs angeboren sind, sondern in der Kindheit erworben werden mit einer Leitlinie, "die dem Menschen wie eine Schablone anhaftet und ihm gestattet, ohne viel Nachdenken in jeder Situation ein einheitliches Persönlichkeitsbild zum Ausdruck zu bringen. Sie ist das Ergebnis eines Kräftespiels, das durch die sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren "Gemeinschaftsgefühl" und "Streben nach Macht" bedingt ist. So ist der Charakter eines Menschen...nie die Grundlage zu einer moralischen Beurteilung, sondern eine soziale Erkenntnis, wie dieser Mensch auf seine Umwelt einwirkt aber auch in welchem Zusammenhang er mit ihr steht. Adler thematisiert Charakterzüge aggressiver Natur: Eitelkeit (Ehrgeiz), Eifersucht, Neid, Geiz und Hass aber auch Charakterzüge nicht aggressiver Natur: Zurückgezogenheit, Angst, Zaghaftigkeit und ungezähmte Triebe als Ausdruck verminderter Anpassung.


Als sonstige Ausdrucksformen des Charakter nennt er: Heiterkeit, Denk- und Ausdrucksweise, Schülerhaftigkeit, Prinzipienmenschen und Pedanten, Unterwürfigkeit, Überheblichkeit, Stimmungsmenschen, Pechvögel und Unglücksraben, Religiosität. Der Psychoanalytiker zeigt wie all diese Charakterzüge durch das Verhalten eines Menschen erkennbar werden, welche Probleme durch sie entstehen können. Auch stellt er Vermutungen an, wie die einzelnen Charakterzüge entstanden sein können. Im Anschluss befasst er sich mit Affekten, die für ihn Steigerungen jener Erscheinung sind, die man als Charakterzüge bezeichnet.


Für ihn sind Affekte zeitlich abgegrenzte Bewegungsformen des seelischen Organs, die sich unter dem Druck einer uns bekannten bzw. unbekannten Nötigung wie eine plötzliche Entladung äußern und wie die Charakterzüge eine Zielrichtung besitzen. Die eine Seite ist auch hier ein Minderwertigkeitsgefühl, ein Gefühl der Unzulänglichkeit, das seinen Träger zwingt alle Kräfte zusammenzunehmen und größere Bewegungen als die sonst üblichen zu vollziehen.


Adler unterscheidet vorwiegend unter dem Gesichtspunkt einer sozialen Kommunikation ausgerichteten psychologischen Denkmodell- zwischen trennenden Affekten wie z. B. Zorn, Ekel, Angst, die das Gemeinschaftsgefühl mehr oder weniger beeinträchtigen und verbindenden Affekten, wie Freude, Mitleid und Scham, wobei Schadenfreude ein Missbrauch darstellt, weil sie das Gemeinschaftsgefühl verletzt, und die Scham einen sowohl verbindenden als auch trennenden Affekt darstellt.

Wer mehr über sich und seine Mitmenschen erfahren möchte, macht gewiss keinen Fehler, wenn er diesen Klassiker Alfred Adlers liest.

Rezension:Die Macht der Emotionen: und wie sie unseren Alltag bestimmen (Taschenbuch)

Die französischen Psychologen Francois Lelord und Christophe Andre befassen sich in diesem Buch mit den emotionalen Voraussetzungen der leider nicht immer leicht nachvollziehbaren Handlungen von Menschen. Weshalb geschieht so vieles fernab von Vernunft?

Zu Beginn ihres Buches grenzen die Autoren die Begriffe Emotion und Gefühl stark voneinander ab und erklären in der Folge, was eine so genannte Basisemotion ausmacht. Diese muß abrupt einsetzen und von kurzer Dauer sein. Sie muß bei Babys bereits vorkommen, sich von anderen Emotionen deutlich unterscheiden und sich in irgendeiner Form auf den Körper auswirken. So aktiviert Traurigkeit beispielweise eine andere Hirnzone als Freude. Auch muss ein bestimmter Gesichtsausdruck für eine bestimmte Emotion vorliegen und sie muss in universellen Situationen ausgelöst werden.



Zorn, Neid, Eifersucht, Scham, Angst, Traurigkeit, Freude und natürlich die Liebe sind die Grundemotionen eines Menschen. Verwurzelt sind Emotionen im biologischen, aber auch soziologische Bedingungen spielen für ihr spürbares Vorhandensein eine nicht unwesentliche Rolle. Die Autoren verdeutlichen anhand von zahlreichen Beispielen, wie sehr sich Emotionen auf die Handlungen und Entscheidungen von Menschen auswirken können, wenn man sich ihrer nicht bewusst ist.


Thematisiert wird auch, wann beispielsweise Angst oder andere Emotionen natürlich und wann sie es nicht mehr sind. Wozu dienen unsere Ängste? Wozu dient der Zorn? Macht gute Laune kreativer? Macht Traurigkeit krank? Über all dies und vieles mehr reflektieren die Psychologen und helfen dem Leser sich selbst und andere besser zu verstehen.

Empfehlenswert!

Rezension:Massenpsychologie und Ich-Analyse / Die Zukunft einer Illusion (Taschenbuch)

Man könnte ihn definieren als Zusammenschluss einer Anzahl von Menschen aus einem besonderen Anlass und für eine bestimmt Zeit, die durch eine Absenkung der Bewusstseinslage oder Bewusstseinsklarheit ihrer Mitglieder, durch Übereinstimmung in Gefühlen und Handlungsimplulsen und durch eine besondere Disposition zu Affektausbrüchen aller Art gekennzeichnet ist.

Nach Freud bildet sich das Massengefühl zunächst in der mehrzahligen Kinderstube aus dem Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern als Folge auf den anfänglichen Neid, mit dem das ältere Kind das jüngere aufnimmt. Offensichtlich möchte das ältere Kind das nächste eifersüchtig verdrängen, von den Eltern fernhalten, es aller Anrechte berauben, doch aufgrund der Gegebenheit, dass auch dieses Kind wie alle folgenden in gleicher Weise von den Eltern geliebt wird und infolge der Unmöglichkeit, auf der feindselige Einstellung ohne negative Konsequenzen zu beharren, wird es zur Identifizierung mit den anderen Kindern gezwungen. So bildet sich lt. Freud in der Kinderschar ein Massen- bzw. Gemeinschaftgefühl heraus.

Massenpsychologie ist die Bezeichnung für Kollektivpsychologie nach analytischen und psychoanalytischen Gesichtspunkten in Unterscheidung zur Psychologie der Massen im Rahmen der Soziologie.
Für Freud entsteht die Masse durch libidinöse Bindung. So kennt er sogar die Masse zu zweit, das Verhältnis zwischen Hypnotiseur und Medium.
Wesentliches Element ist nach Freud für die Massenbildung die Identifikation mit dem Führer.

Unter Identifikation versteht man psychoanalytisch betrachtet die unbewusste Gleichsetzung der eigenen Person mit der anderen Person, so dass diese zu einem unbewussten Vorbild für das Denken, Handeln und sonstige Verhaltensweisen wird.

Über den Führer erfolgt die Identifizierung des Individuums mit den übrigen Massenmitgliedern. Der Führer wird für die Masse zum Ich-Ideal.

Unter dem Ich-Ideal versteht man nach Freud durch die Instanz des Über-Ich unbewusst geprägten Ideale.

Freud führt dazu aus, "Er braucht nur die typischen Eigenschaften dieser Individuen in besonders scharfer und reiner Ausprägung zu besitzen und den Eindruck größter Kraft und libidinöser Freiheit zu machen, so kommt ihm das Bedürfnis nach einem starken Oberhaupt entgegen, bekleidet ihn mit der Übermacht, auf die er sonst vielleicht keinen Anspruch hätte. Die anderen, deren Ich-Ideal sich in seiner Person sonst nicht ohne Korrektur verkörpert hätten, werden dann suggestiv, d.h. ohne Identifizierung mitgerissen."

Allzusehr dem Gedanken verhaftet, dass die Libido eine letzlich sexuelle Kraft für alle Triebe und Antriebe sei, hat Freud Religion und Weltanschauung als treibende Kraft für Massenbewegungen für eine Illusion gehalten, die keine Zukunft hätte. So hat er tragischer Weise die politische Entwicklung in Europa zur Katastrophe hin missverstanden und nicht erkannt.



Rezension: Meister Eckhart

Dr. Gerhard Wehr führt im Rahmen des vorliegenden Büchleins in die Werke Meister Eckharts (1260-1328) ein. Dabei skizziert er in der Einführung u.a. dessen Leben und Werk sowie Aspekte der Mystik und stellt in der Folge eine Auswahl seiner Predigten und Traktate vor.

Die Schriften des Philosophen Meister Eckhart (um 1260- 1328) sind von der Intention getragen, die Einheit des Gerechten und der Gerechtigkeit, Gottes und des menschlichen Geistes zu beweisen und als Gottesgeburt im Menschen - die Wahrheit der Inkarnation Gottes in der Seele - philosophisch zu begründen. Für Meister Eckhart ist Gott so extrem der schlechthin Gute, der Eine, der Absolute, der ganz Jenseitige, das es nicht gelingt über ihn etwas in Erfahrung zu bringen. Alles, was wir ihm an Eigenschaften zuschreiben, kommt ihm wohl eher nicht zu. Sofern besteht die Theologie in erster Linie aus negativen Aussagen. Für den Philosophen ist dieser völlig jenseitige Gott eine "ungenaturte Natur". Die Gottheit ist zu unterscheiden von der "ungenaturten Natur". Die urprüngliche Gottheit ist aufgrunddessen, dass ihr auch das Prädikat des Sein an sich nicht beigelegt werden kann, wie der Abgrund des Nichts. Damit die Gottheit sich offenbaren kann, muss sie sich erst bekennen, gewissermaßen das "Wort sprechen". Auf diese Weise wird aus der Gottheit der dreieinige Gott des Christentums. Die Gottheit teilt sich in eine Subjekt und ein Objekt. Das Subjekt ist Gottvater, das Objekt ist der Gottessohn. Der Heilige Geist ist das Band der Liebe, das Vater und Sohn verbindet.

Der zweite große Gedanke reflektiert die mystische Lehre von der Einheit Gottes und der Menschenseele. Die Seele ist nach dem Ebenbild Gottes geschaffen und insofern nach Meister Eckhart ebenfalls dreieinig. Sie begründet sich durch die drei Seelenkräfte des Erkennens, Zürnens und Wollens. Diesen Seelenkräften sind die drei christlichen Haupttugenden Glaube, Liebe und Hoffnung zugeordnet. So wie über dem dreieinigen Gott die ursprüngliche Gottheit steht, thront über den drei Seelenkräften der göttliche Funke. In besagtem Funken wohnt nur Gott mit seiner göttlichen Natur.

Der dritte Grundgedanke von Eckharts Mystik liegt in der Selbstäußerung und dem Aufgehen in Gott begründet. Man kann nur dann mit Gott eins werden, wenn man sich von der Sünde lossagt, weil diese uns generell von Gott trennt. Ziel ist es Gelassenheit, innere Gelöstheit und Abscheiden von allen irdischen Dingen und schließlich vom eigenen Selbst zu erlangen, seinen eigenen Willen aufzugeben und im Willen Gottes aufzugehen. Wenn die Seele diesen Zustand erreicht, dann wird sie Gott gleich.


Die Seele erkennt, dass alles außer Gott nicht bloß wertlos ist, sondern gewissermaßen nichts ist, dass alles nur existieren vermag, wenn es in Gott ist. In diesem Zustand erhebt sich die Seele über Raum und Zeit. Sie erkennt, dass das allem zugrundeliegende Wesen auf keinen Fall zeitliche Vergänglichkeit ist, sondern ewige zeitlose Gegenwart. Jetzt! Aber sie erkennt auch die allem zugrunde liegende ewige Notwendigkeit, selbst im Erlösungsprozess, durch welche die Seele in Gott eingeht.


Die Texte Meister Eckharts sind von großer geistiger und religiöser Tiefe und sprachlich auf höchstem Niveau. Auf jeden Fall lesenswert.



Rezension: Von der Liebe , Freundschaft und Feindschaft

Dieses Buch habe ich mit großem Interesse am Wochenende gelesen, weil der griechische Philosoph und Schriftsteller Plutarch zu meinen erklärten Lieblingen zählt. In der Einleitung wird man über die Herkunft und Geburt, die Jugend und Ausbildung des 45 n.Chr. geborenen Denkers informiert und erfährt danach auch alles Wesentliche über sein Leben und seine Werke.

Anschließend kann man sich mit folgenden Texten näher befassen:

-Wie man den Schmeichler vom Freund unterscheiden kann
-Wie man von seinen Feinden Nutzen ziehen kann
-Von der Menge der Freunde
-Von der Bruderliebe
-Über die Liebe zu den Kindern
-Von Neid und Hass
-Trostschreiben an seine Gattin
-Gespäch über die Liebe
-Liebesgeschichten

Da die Liebe, wie Platon schon sagte, blind für den Gegenstand der Liebe macht, ist es nach Plutarch sinnvoll sich mit der Selbstliebe zu befassen, um Schmeichlern den Boden für Manipulationen zu entziehen. Der Philosoph betrachtet in seinem diesbezüglichen Text Freundschaft von seinem Beginn an, um den Freund vom Schmeichler unterscheiden zu können. Ein Schmeichler appelliert an unsere Selbstliebe, um für sich Vorteile zu beschaffen, während der Freund dies niemals tun würde. Besonders im Betragen des Schmeichlers gegen andere Freunde, lässt sich der immense Unterschiede zum Freund erkennen. Ein falscher Freund, ein Schmeichler also, hat immer Neid auf andere Freunde, weil er Angst um seine Vorteile hat. Wie so oft teile ich auch hier mal wieder Plutarchs Meinung, der in all seinen Texten zeigt, dass er ein großer Menschenkenner war.

Plutarch fragt in der Folge, wie man von seinen Feinden Nutzen ziehen kann. Eine interessante Frage, wie ich finde. Der Philosoph verdeutlicht, dass ein Feind sich hauptsächlich an unsere Fehler hält und diesen nachspürt. Alles, was krankhaft, schlecht und leidend an uns ist, zieht den Feind an. "Er eilt voll Hass demselben zu, packt es an und zerfleischt es." Plutarch macht klar, dass ein solches Verhalten uns im Grunde nützt, weil wir durch das Verhalten des Feindes lernen besonnener und überlegter zu handeln. Der Feind macht uns, ohne es zu wollen, zu einem besseren Menschen, indem wir ihm den Boden für jeglichen Angriff entziehen. Am Ende steht er, geächtet von allen, als übler Intrigant da, aber nur dann, wenn man bereit ist, durch entsprechend lauteres Verhalten Nutzen aus dem Gehacke eines Feindes zu ziehen. Das funktioniert immer, wenn man sich bemüht, seine Mitmenschen gerecht und liebevoll zu behandeln.

In der Schrift "Wie man Schmeichler vom Freunde unterscheiden kann, lässt Plutarch Diogenes sagen: "Wer dem Verderben entgehen will, muss entweder echte Freunde oder heftige Feinde besitzen. Die einen halten durch Ermahnungen die anderen durch Schmähnungen von Verfehlungen ab."

Im Kapitel über Neid und Hass macht Plutarch deutlich, dass sich neidische Menschen durch das vermeintliche Glück ihrer Mitmenschen gekränkt fühlen und deshalb aus anderen Motiven unangenehm agieren wie Menschen, die hassen und aus dieser Leidenschaft heraus Böses tun. Ein neidischer Mensch ist, folgt man Plutarchs Gedanken, niemals so bösartig wie ein hassender. Wirkliche Niederträchtigkeiten hat man stets nur von hassbesetzten Menschen zu erwarten. Das sehe ich auch so.

Plutarchs Reflektionen über die Liebe haben mir gefallen. Ich möchte eine bemerkenswerte Stelle zitieren, die mich an Dumas "Kameliendame" denken lässt: "In der wahren Liebe ist so viel Enthaltsamkeit, Sittsamkeit und hingebende Treue, dass sie selbst eine noch ungereinigte Seele, die sie ergreift, von anderen Liebhabern abzieht" und ihr Scham, Schweigsamkeit und züchtige Haltung einflößt. Auch hier stimme ich Plutarch zu. Liebe ist immer auch Läuterung.

Der große Philosoph empfiehlt zu lieben, weil uns aktives Lieben vor Fehlern behütet. Er spricht in diesem Zusammenhang von der Ehe, aber ich denke seine Empfehlung ist in allen zwischenmenschlichen Beziehungen sinnvoll.


Ein Buch, das ich sehr gerne empfehle.