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Rezension: Die seelenlose Gesellschaft: Wie unser Ich verloren geht.


Auf Seite 74 dieses lesenswerten Büchleins findet man ein Zitat von Marie Luise-Ebner Eschenbach. Dieses lautet "Die größten Feinde der Freiheit sind die glücklichen Sklaven". Der Autor Dr. med. Till Bastian kommentiert im Anschluss daran: "Diese glücklichen Sklaven der modernen Erlebnisgesellschaft und ihrer glitzergrellen Konsumwelt registrieren kaum noch, wie sehr ihnen das eigene Ich verloren geht, wie es ihnen aus der Seele gesaugt wird durch die beständig ihr Zerstörungswerk verrichtenden Vakuumpumpen des "sekundären Systems", die an Stelle seelischer Strukturen innere Leere zurücklassen und uns damit immer wirkungsvoller der "Außenleitung" überantworten." (Zitat: S.74).

Bastian zeigt in einem ersten Überblick, was unsere Seele bedroht und verdeutlicht, dass die mangelnde Übereinstimmung unserer Lebensrealität mit dem von uns selbst entworfenen Ideal-Bild, dem "Selbst-Ideal", mit seinen immanenten Wunschvorstellungen und Größenphantasien es in erster Linie ist, das uns peinigt, weitaus mehr quält als unser Gewissen, sprich das schmerzliche Gefühl gegen moralische Normen zu verstoßen. Die Kluft zwischen dem Wunschbild von sich selbst und der nicht selten als unerfreulich erfahrenen Wirklichkeit der tatsächlich eigenen Person hat zur Folge, dass die Herausbildung einer stabilen Ich-Identität erschwert wird. Im Ergebnis ziehen sich Menschen in die Passivität oder in virtuelle Welten zurück, wo sie sich nicht selten Wunschidentität schaffen, (vgl.: S.23).

Vormals innere Konflikte, die sich aufgrund von seelischer und sozialer Einschränkung ergaben, gibt es heute nicht mehr in diesem Maße, stattdessen werden lt. Dr.Bastian die Bürden neuerdings von außen auferlegt. Es sind, wie er festhält, die vielen alltäglichen Gebote, die erfüllt werden müssen, um sich alltagspraktisch zu verhalten, die Forderungen, die wir erfüllen müssen, um einer bestimmten Kultur oder Subkultur anzugehören, das pausenlose Konkurrieren, dass unsere Seele aus Dauer zerstört. Überanstrengung, Erschöpfung, Überdruss, Frustration und innere Leere kennen wir alle und keiner ist damit glücklich.

Der Autor möchte mit seinem Buch Verschüttetes, Überschriebenes und Übertünchtes freilegen, um auf diese Weise seinen Lesern neuen inneren Halt zu geben. Er bemüht in seinem Text viele kluge Leute, wie etwa den Soziologen Norbert Elias, schreibt u.a. davon, dass der Zwang zur Selbstdisziplin und Selbstkontrolle, unter dem wir dauern stehen, unser Nervensystem überaus beansprucht und wir ständig Entscheidungen treffen müssen, zu denen wir gar nicht in der Lage sind. Bas Kast, dessen Buch "Ich weiß nicht, was ich wollen soll", ich gerade zu lesen begonnen habe, bestätigt anhand von Fakten die von Dr. Bastian getroffene Aussage.

Das Ringen um Identität wird immer schwieriger. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass es mittlerweile zum modernen Einsiedlertum kommt. Die Japaner nennen dieses Phänomen "Hikkikomorie". Bei uns spricht man bei einem solchen Verhalten von "sozialer Phobie", neben "Nesthockerei" ist das ein weiteres Verhaltensmuster, um sich den pervertierten Anforderungen unserer Gesellschaft nicht zu stellen.

Dr. Bastian skizziert die Merkmale seelischer Stagnation. Dazu gehört u.a. eine oft sehr weitgehende Abkoppelung vom Tag-Nacht-Rhythmus, exzessiver Aufenthalt in virtuellen Welten, um dort beispielsweise an Computerspielen teilzunehmen, die Unfähigkeit sein Leben angemessen zu organisieren, bei einer mehr oder minder deutlichen Tendenz zur Verwahrlosung, (vgl.: S.50).

Der Autor schreibt u.a. über moralische Verwahrlosung und steigende Gewaltbereitschaft, auch über das Verschwinden von körperlicher Fitness, um sich dann mit der sogenannten Mobilitätsmaschine, Datenmaschine, Bedeutungsmaschine und der Geldmaschine, dem so genannten Sekundären System, das ich eingangs erwähnte, auseinanderzusetzen und deren systematisches Zusammenwirken aufzuzeigen. Dieses Wirkungsgefüge scheint sich in der Wechselwirkung sehr negativ auf unsere Seele auszuwirken, sodass man klug daran tut Außenreize zu reduzieren, sein Leben zu vereinfachen, sich Zeit zur Muse, Besinnlichkeit und Selbstreflexion zu gönnen und sich den nötigen Respekt für die eigene innere Ambivalenz, für die Vielschichtigkeit und Mehrdimensionalität des zu erforschenden eigenen Seelenlebens einzuräumen, (vgl: S.143.)
Sehr empfehlenswert.
  

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