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Rezension: SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (Gebundene Ausgabe)

"Eine gebildete emotionale und soziale Psyche macht Kinder und Jugendliche stark. Sie können das Selbstbewusstsein entwickeln,, ihre Fähigkeiten einzusetzen und weiterzuentwickeln, ohne dabei egoistisch und schädigend für andere Menschen vorzugehen." (Michael Winterhoff, S.158).

Der Psychotherapeut Michael Winterhoff befasst sich in seinem klugen Buch mit den Gefährdungen der emotionalen und sozialen Entwicklung von Kindern und zeigt, was man dagegen unternehmen kann. Faktisch belegbar ist, dass es immer mehr Kinder gibt, die gravierende Störungen im Lern-, Leistungs- und Sozialverhalten aufweisen. Zudem scheinen immer mehr Heranwachsende nicht mehr fähig zu sein, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Wie es aussieht, liegen die Ursachen in psychischen Fehlentwicklungen.

 Um zu verhindern, dass es in unserer Gesellschaft immer mehr Egoisten, Narzissten und beziehungsunfähige sowie lustorientierte Egoisten gibt, ist es nach Winterhoffs Ansicht, der ich ohne Wenn und Aber zustimme, notwendig, rasch gegenzusteuern.

Offenbar steigen derzeit im Kindergartenalter bei den Kleinen massive motorische und sprachliche Schwierigkeiten an. Die Kinder haben Probleme im Bereich des Lernens und auch im Hinblick auf soziale Kompetenzen. Verzeichnet wird ein Konzentrationsmangel in der Schule wie auch ein Desinteresse an Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Zudem mangelt es an Fleiß und die Kinder begreifen Strukturen und Abläufe immer weniger. Zu allem Überfluss fallen diese Kinder auch noch durch eine ausgeprägte Rücksichtslosigkeit und Leistungsverweigerung unangenehm auf. Für all dies gibt es natürlich Gründe und diese liegen in Beziehungsstörungen mit den Bezugspersonen begründet.

Winterhoff veranschaulicht die Entwicklungsstufen eines Kindes anhand einer kurzen Auflistung und macht deutlich, dass immer dann, wenn in einem bestimmten Alter ein Stillstand eintritt, es eine höhere Stufe der Entwicklung nicht erreichen kann. Das hat zur Folge, dass das Denken und die Wahrnehmung auf einer früheren nicht altersgemäßen Stufe verbleiben.

Man muss sich bewusst machen, wie ein Kind die Welt wahrnimmt und verstehen lernt, dass Kinder die Welt vollkommen anders wahrnehmen als Erwachsene. Viele Erwachsene scheinen das mittlerweile vergessen zu haben, deshalb auch kommt es zu all diesen fatalen Entwicklungsverwerfungen.

Sehr wichtig ist es, in bestimmten Entwicklungsphasen, Abläufe und Strukturen zu erkennen, um sich an Regeln orientieren zu können. Jedem, der ein wenig nachdenkt, wird schnell bewusst, dass Regeln Kinder Stabilität und Sicherheit schenken. Kinder benötigen Regeln und Strukturen, um sich orientieren zu können.

Winterhoff thematisiert sogenannte Denkverbote, um sie auszuhebeln. Es ist völlig klar, dass Kinder Grenzen aufgezeigt bekommen müssen, wenn sie sich zivilisiert entwickeln sollen. Da Höflichkeit, Rücksichtnahme und Respekt nicht angeboren sind, müssen sie erlernt werden und zwar in der Kindheit bereits. Diese erlernten Fähigkeiten sind eine notwendige Bedingung, um ein emotional und sozial ausgereifter Erwachsener zu werden, (vgl.: S.59).

Der Psychotherapeut unterstreicht, dass das Verhalten, das Eltern, Großeltern, Lehrer und Erzieherinnen heute an den Tag legen, das Verhalten der Kinder und Jugendlichen, das diese in zehn, zwanzig und dreißig Jahren als Erwachsene zeigen, maßgeblich beeinflusst. Deshalb auch lautet die entscheidende Frage: "Leisten Erwachsene die Entwicklungsbegleitung über die Beziehung noch heute im ausreichenden Maße? Die Antwort lautet immer öfter: Nein." (S.60).

Wie Winterhoff deutlich macht, mangelt es vielen Kindern an Halt aufgrund von partnerschaftlichen Konzepten der Erwachsenen, die Kinder überhaupt nicht verstehen können. Dadurch kommt es zu einer Unterentwicklung sozialer und emotionaler Kompetenz, die dann bei jungen Erwachsenen zur Unfreiheit führt, also genau zum Gegenteil von dem, was bezweckt worden ist.

Der Autor hält es für bedenklich, wenn Eltern bei ihren Kindern in die Rolle des Hilfslehrers schlüpfen und wenn zwischen Mutter und schulpflichtigem Kind in dieser Beziehung eine Art Symbiose entsteht, so dass die Mutter den Druck, der auf einem Schüler ruht, auf sich bezieht und sie dann so handelt als sei sie das betroffene Kind. Symbiotische Mütter haben keine Distanz und sind für die Entwicklung des Kindes nicht förderlich.

Winterhoff zeigt den Unterschied zwischen Selbstständigkeit und Selbstbestimmung auf. Oft verhalten sich Kindergartenkinder wie Säuglinge, weil die Förderung des sozialen Miteinanders nicht stattgefunden hat, aufgrund einer falsch verstandenen Freiheitsidee der Eltern.

Der Autor ist kein Befürworter autoritärer Erziehungsmethoden, wohlgemerkt, allerdings befürwortet er ein Erziehungskonzept, wonach klare Ansagen gelten und Kinder nicht dem Chaos ausgesetzt werden. Dies finde ich begrüßenswert.

 Damit ein Kind seinem Alter gemäß, lern- und leistungsfähig sein kann, sind mitunter Nachreifeprozesse notwendig. Diese können dann am besten stattfinden, wenn das Umfeld ein ruhiges ist und die Sinneseindrücke das Kind nicht überfordern.

Winterhoff zeigt Wege auf, die aus Kindern starke und selbstbewusste Erwachsene werden lassen, weil sie nicht beziehungsgestört sind. Das Buch leistet einen guten Beitrag zu einem Umdenken in Erziehungsfragen. Das kann man nur begrüßen.

 Empfehlenswert.