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Rezension: Die Kinderkrankmacher- Beate Frenkel/Astrid Randerath

Dieses schockierende Buch, im Grunde eine soziologische Bestandaufnahme, ist eine Teamarbeit von Astrid Randerath und Beate Frenkel, (beide sind Redakteurinnen bei Frontal21) und der freien Journalistin Nina Brodbeck, die als Co-Autorin genannt wird. 

Der Untertitel, der klug gewählt wurde, deutet bereits an, worum es geht: "Zwischen Leistungsdruck und Perfektion- Das Geschäft mit unseren Kindern". Aufmerksam wurde ich auf das Cover des Buches auf Twitter und setzte mich umgehend mit dem Herder-Verlag in Verbindung. Meine gesteigerte Sensibilisierung im Hinblick auf das brisante Thema ist nicht zuletzt den Informationen der Autorin Simone Langendörfer geschuldet, die auf "Buch, Kultur und Lifestyle" täglich schreibt, immer wieder den katastrophalen Seelenzustand in unserer Gesellschaft zu Sprache bringt und seelisch angeschlagenen Menschen in Seminaren und Einzelberatungen zu helfen versucht. 

Die Texte der Frontal21 Redakteurinnen sind in fünf Kapitel untergliedert. Diese lauten: 

- Kinder dürfen nicht mehr Kinder sein
- Pillen für den Zappelphilipp, Kohle für die Pharmaindustrie- unglaubliche Karriere einer Verhaltensstörung 
- Nur für Erwachsene!?- alte Pillen, neue Krankheiten 
-Spieglein, Spieglein an der Wand- Schönheitswahn und Perfektion 
- Die Kinderstarkmacher 

Immer mehr Kinder leiden unter Konzentrationsmangel und Hyperaktivität, unter Schwermut oder Aggressionsschüben. Folge davon ist, dass sie sich wegträumen, wenn sie aufmerksam sein sollen und stören, wenn konzentriertes Arbeiten gewünscht ist. Die einen sind still und in sich gekehrt, die anderen schreien laut herum und kippeln mit ihren Stühlen. Jedes 5. Kind zwischen drei und siebzehn Jahren weist  angeblich mittlerweile Anzeichen von psychischen Störungen auf. Die Diagnosen lauten: Depression, ADS, ADHS. 

Um diese und andere Auffälligkeiten zu beseitigen, werden seitens der Mediziner Psychopharmaka verabreicht. 1995 verordnete man Kindern und Jugendlichen noch 40 Kilogramm Methylphenidat, 2012 war es bereits die 43-fache Menge. Zwischenzeitlich gibt es angeblich insgesamt mehr als 620 000 Kinder und Jugendliche, bei denen die Impulskontrolle und die Fähigkeit zur Selbststeuerung vermindert sind. Das Geschäft mit Psychopharmaka boomt. "Immer mehr Kinder mit psychischen Störungen, die immer mehr Medikamente verschrieben bekommen. Das ist der Trend in Deutschland." 

Zu den Nebenwirkungen des verabreichten Stoffes zählen: Angstzustände und Schlaflosigkeit, krankhafte Unruhe sowie Aggression. Wie die Autorinnen schreiben, müssen Kinder heutzutage in erster Linie funktionieren. Die Angst vor dem sozialen Abstieg ist in der derzeitigen Elterngeneration, die im Wohlstand groß wurden, besonders intensiv. Kinder dürfen nicht mehr Kind sein. Sie sollen Wettbewerb einüben, immer höher, immer weiter, immer schneller. Raum für Entwicklung und Anderssein ist nicht mehr vorhanden. 

Der übermäßige Druck und die Kontrolle fördern Verhaltensauffälligkeiten. Eltern in Deutschland investieren derzeit bis zu 1,5 Milliarden Euro im Jahr in Nachhilfeunterricht. Etwa 1.1 Millionen Mädchen und Jungen erhalten derzeit Nachhilfe. In NRW haben 40% der Nachhilfeschüler einen Notendurchschnitt von 1,5 und 2,5. Das zeigt, dass Kinder der derzeitigen  Elterngeneration offenbar nie gut genug sein können. 

Sich wegzuträumen und wegzuzappeln sind aus entwicklungspsychologischer Sicht normale Reaktionen auf dieser Zwangslage. 

Die Autorinnen zeigen die Situation der Lehrer und verdeutlichen, dass gestresste Eltern Stress machen und mithin auch eine überforderte Gesellschaft überforderte Kinder schafft. Eltern, Lehrer und Ärzte fühlen sich unter Druck. Dadurch hat die Pharmaindustrie leichtes Spiel. 

Ritalin und vergleichbare Medikamente sorgen für gefüllte Firmen-Kassen. Auf der Strecke bleiben die Kinder. Interessant, was ein Pharmainsider die Autorinnen wissen lässt! Kein Kongress, ohne Pharmaindustrie, alles wird gesponsert. Ärzte und Pharmaindustrie profitieren durch die ruhiggestellten Kinder. Im medizinischen Bereich gibt es offensichtlich kaum unabhängige Studien. Nahezu alle sind von einer Pharmafirma gesponsert. Es führt zu weit, im Rahmen dieser Rezension aufzulisten, wer alles unter den Fittichen der Pharmaindustrie steht. Es sind nicht nur Mediziner, sondern auch Politiker, wie das Buch deutlich macht. 

Spätfolgen der Medikamentierung sind bislang nicht bekannt, aber man befürchtet, dass die Entwicklung des Kindes gehemmt wird. Zudem sind die Nebenwirkungen nicht unbedenklich. Erwähnt werden u.a. Herzrhythmusstörungen. 

Die neuen Krankheiten heißen: Traurigkeit, Wut und Prüfungsangst. Was Kinder benötigen, ist eindeutig Zuwendung, doch sie bekommen stattdessen Pillen. 

Auch über den Körperkult schon im Kindesalter erfährt man Wissenswertes. Die Nachfrage nach Produkten der Selbstoptimierung und Normierung ist hier keineswegs gering. Für die Industrie sind die 6- 13 jährigen wegen ihres beachtlichen Taschengeldes eine interessante Zielgruppe. 

Zur Sprache gebracht werden zudem die Zweckentfremdung für Antibabypillen und auch die Hormontherapien, um vermeintlichen Kleinwuchs zu beheben. Kinder dürfen weder zu laut, zu leise, zu dick oder zu klein sein, sondern was zählt, ist die Perfektion. Mittels Pillen sollen Kinder formatiert werden und alle scheinen mitzuspielen. Dass dies kein Weg sein kann, ist spätestens nach der Lektüre des Buches klar. 

Dass es einen Weg jenseits des Milliardengeschäfts der Pharmaindustrie  für die Stärkung der Kinder gibt, ist erfreulich. Darüber im letzten Kapitel zu lesen, versöhnt beinahe. Doch das Buch enthält eine Botschaft, die es umzusetzen gilt. Nämlich alles zu tun, um dem Irrsinn ein Ende zu bereiten. Hier gilt es ein ganz dickes Brett zu durchbohren, wenn die Macht der Pharmafirmen gebrochen werden soll.  Doch diesmal geht es um die Gesundheit der Kinder, der Leistungsträger von morgen. Das sollte wachrütteln.

Sehr empfehlenswert. 

Helga König

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